Auf der Jagd nach dem weißen Gold

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Rosenthal Porzellan Windblad Teller und Figur

Auf der Jagd nach dem weißen Gold

Mit Ausnahme von Edelmetallen wie Gold und Silber vermag es kein anderer Rohstoff, den Menschen derart schnell eine beinahe respektvolle Haltung abzuringen, wie das „weiße Gold“. Bis heute nähern wir uns den filigranen Objekten am liebsten mit einer zögernden Vorsicht – als wären wir uns darüber im Klaren, dass eine einzige unbedachte Bewegung zur Zerstörung des Kunstwerks führen könnte, das geschulte Hände in stundenlanger Präzision aus einer anfangs unscheinbaren Masse geformt haben.

 

Sicher hängt diese Wertschätzung auch mit der jahrhundertelangen Jagd nach der richtigen Rezeptur und dem Wissen um die abenteuerliche Geschichte des Porzellans zusammen, das seinen Ursprung in China hat. Um 620 wurde dort ein Verfahren entwickelt, um aus an sich recht einfachen Materialien die weißlich-schimmernden Objekte zu erschaffen; eine Tatsache, der man im englischen Sprachraum bis heute durch den Begriff „china“ für entsprechende Produkte gedenkt. Die grundlegende Rezeptur wurde indes derart lange geheim gehalten, dass sich insbesondere im aufstrebenden Europa der frühen Neuzeit erste Begehrlichkeiten regten.

 

In Anbetracht dieser „Jagd nach dem weißen Gold“, mutet es beinahe wie eine Ironie der Geschichte an, dass man die Formel durch Zufall entdeckte: Man schrieb den 1. Oktober 1701, als der junge Apothekergeselle Johann Friedrich Böttger seinem Lehrmeister Friedrich Zorn die Umwandlung von Silber in Gold vorführte und damit ein uraltes Mysterium aufgedeckt zu haben schien. Immerhin galt die Herstellung des dafür notwendigen „Steins der Weisen“ als größtes Mysterium der als „Alchemie“ bekannten Wissenschaft der Stoffe und Elemente. Kurz nachdem sich die Kunde vom angeblichen „Goldmacher“ in Berlin herumgesprochen hatte, meldeten überraschendweise erste Herrscher postwendend ein (freilich begründetes) Interesse an einer Bekanntschaft mit dem jungen Mann an, der sich daraufhin in den Schutz des sächsischen Königs August des Starken stellte, um vor den langen Armen der brandenburgischen Justiz zu fliehen. Zu seiner eigenen Sicherheit, so die Aussage des Monarchen, wurde er anschließend in der Festung Königstein und später in einem Gebäude in Dresden interniert, wo er bleiben sollte, bis er das Geheimnis um die Herstellung des Steins der Weisen mit einem kleinen Stab an Gehilfen, dem sogenannten „Contubernium“, geteilt hatte.

 

Da Böttger erkannte, dass nicht allein seine berufliche Zukunft, sondern schlichtweg sein Leben an den Experimenten hing, forschte er fieberhaft, jedoch letztendlich erfolglos, an der Lösung des größten Rätsels der Menschheit, ehe August der Starke ab 1705 zunehmend die Geduld mit ihm verlor. Auf der Albrechtsburg nahe Meißen trieb Böttger seine Experimente schließlich bis zum Exzess weiter und ging in diesem Zusammenhang dazu über, die für die Herstellung des Steins der Weisen notwendigen Tiegel aus einem feuerfesten Material selbst zu produzieren. Noch im gleichen Jahr gelang ihm dabei mehr zufällig als geplant eine erste Marge sogenannten „roten Porzellans“.

 

Schnell waren damit die alten Begehrlichkeiten Augusts des Starken geweckt, der Böttger gestattete, neben seiner Forschung am „Hauptwerk“, i.e. der Suche nach der Goldformel, an der Verbesserung der Porzellanrezeptur zu arbeiten, was schließlich zur Entwicklung des bis heute bekannten „Böttger-Steinzeugs“ führte: Einer gelb-rötlich schimmernden Masse, die insbesondere regelmäßigen Zuschauern der unzähligen Antiquitätenratgeber ein Begriff sein dürfte. Noch im gleichen Jahr, 1707, wurde durch Beimischung von Alabaster erstmals Weißporzellan auf europäischem Boden hergestellt, für dessen Produktion August der Starke 1710 eben jene berühmte Manufaktur in Meißen ins Leben rief, deren Emblem, die gekreuzten Kurschwerter, bis heute jedem Sammler die Augen aufleuchten lässt.

 

Böttger selbst begann währenddessen damit, die Rezeptur für „sein“ Porzellan immer weiter zu verfeinern, wobei schließlich auch Kaolin zum Einsatz kam, das zusammen mit Quarz und Feldspat als Grundsubstanz zur Herstellung des weißen Goldes diente. Mit eben jener Formel begann der Siegeszug des Porzellans auch in Europa: Neben Meißen wurden in den nächsten fünfzig Jahren mehr und mehr Manufakturen konzessioniert, wobei sich manche davon bis heute auf dem Markt behaupten können. Eine dieser „Firmen“, die sich in Wallendorf befand, ging später durch Verpachtung in den Besitz des Porzellanmalers Johann Heinrich Hutschenreuther über. Dessen Sohn, Carolus Magnus, hatte es im Rahmen einer Reise zu Verwandten auf die Burg Hohenberg verschlagen, in deren Nähe ihm der Oberförster Ernst Ludwig Reuß schließlich auf ein Vorkommen von „weißer Erde“ (eben jenem Kaolin) aufmerksam machte.

 

Kurz darauf reifte in ihm der Plan, auf der einstmals stolzen Anlage eine eigene kleine Manufaktur zu etablieren, deren Gründung sich jedoch durch finanzielle und politische Rückschläge immer wieder verschob. 1822 wurde die Konzession zur Errichtung einer „Fabrik“ schließlich erteilt, wobei man zwischenzeitlich auf das Gelände eines ehemaligen Alaun-Werks umgezogen war. Damit wurde die erste derartige Einrichtung im nordbayerischen Raum aus der Taufe gehoben. Nach anfänglichen Problemen in der Produktion konnte Hutschenreuther seinen Betrieb über die nächsten Jahre zu einem der führenden auf dem Porzellansektor ausbauen und damit die Geschichte des weißen Goldes nachhaltig prägen.

 

Dessen Wahrnehmung hatte sich zwischenzeitlich gewandelt: Durch Umbrüche im Rahmen der fortschreitenden Industrialisierung waren die Ständestrukturen der Frühneuzeit stückweise zusammengebrochen und durch eine neue, kapitalistisch-organisierte Gesellschaft ersetzt worden, die zur Ausprägung des „Bürgertums“ führte. Für dessen Selbstbild spielte die Ausstattung der herrschaftlichen Stadtpalais, für deren Gestaltung sich schon bald der Begriff „Biedermeier“ etablierte, mit Porzellan eine wichtige Rolle. Bis in die 1920er Jahre hinein galt es unzweifelhaft als Statussymbol ersten Ranges und wurde in unzähligen Formen wie Variationen auf den Markt gebracht, doch begann dieser „Boom“ ab der Mitte des 20. Jahrhunderts langsam abzuflauen, nachdem sich die Formensprache in der Kunst gewandelt hatte: Gropius’ Bauhaus und andere wegweisende Denker hatten sie der Nutzbarkeit unterworfen – nicht mehr blendender Pomp und goldkaschierte Dekadenz sollten im Fokus stehen, sondern die schlichte Eleganz, an die sich auch das Porzellan anzupassen hatte.

 

Bundesarchiv B 145 Bild-F062779-0019, München, SPD-Parteitag, Rosenthal

Philip Rosenthal

Einer, der diesen Wandel par excellence für sein eigenes Unternehmen zu nutzen verstand, war Philip Rosenthal. 1950 trat er als Leiter der Designabteilung in die Fabrik seines Vaters ein und arbeitete sich innerhalb von knapp acht Jahren zum Vorsitzenden des Vorstands empor. Mit ihm begann die dritte Blüte des weißen Goldes, das nun jedoch nicht mehr als eine Art von Herrschaftssymbol der absolutistischen Monarchen oder als Aushängeschild eines aufstrebenden Bürgertums galt, sondern schlicht als Ausdruck der künstlerischen Moderne. Durch die Einführung der Studio-Line gelang ihm das, was viele Firmen bis heute ihren Kunden ans Herz legen: Eine Fokussierung nicht allein auf das Produkt, sondern auf ein damit einhergehendes Lebensgefühl, das durch die Zusammenarbeit mit namhaften Künstlern wie Wagenfeld, Loewy und Wiinblad als Ausdruck seiner ganz eigenen Zeitstellung dienen kann.

 

Bis heute existieren die Firmen Hutschenreuther und Rosenthal und legen damit Zeugnis über die Bedeutung unserer Region in der Geschichte des europäischen Porzellans ab: Durch den Vordenker C.M. Hutschenreuther, der sich auch durch vermehrte Rückschläge nicht von seinem Weg abbringen ließ, und durch Philip Rosenthal, der durch sein Denken in neuen Bahnen die Renaissance des weißen Goldes einleitete und damit wie kein zweiter an dessen bis heute bestehender Anziehungskraft durch Eleganz und Kunsthandwerk mitwirkte, wird seine Entwicklung bis heute beeinflusst.

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Adrian Rossner

Jahrgang 1991, studierte Geschichte (Schwerpunkt fränkischer Landesgeschichte), Anglistik und Erziehungswissenschaften an der Universität Bayreuth. Er ist seit Jahren in der Heimatforschung des nordoberfränkischen Raums aktiv und bestellter Kreisarchivpfleger des Landkreises Hof, sowie Referent für Heimatpflege des Fichtelgebirgsvereins. Die Ergebnisse seiner Recherchen präsentiert er regelmäßig in Form von Vorträgen und Publikationen einem breiteren Publikum.

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